Frankfurter Allgemeine- ein Bericht von Walter Hönigsberger 22.10.2010


Der Thomas zahlt die Taxirechnung

Wenn man zu spät kommt oder zu früh und der Vierkanthof schon geschlossen hat oder noch nicht geöffnet, dann geht man zum Kirchenwirt und fragt den über Thomas Bernhard aus. Ein Besuch in Ohlsdorf.

Jedes Mal, wenn wir von Wien wegfuhren oder nach Wien hineinfuhren, jedes Mal also, wenn wir auf der sogenannten Westautobahn an St. Pölten, Melk oder Attnang-Puchheim vorbei Österreichs Hauptstadt verließen oder uns auf den Weg dort hin machten, auf einer von Deutschland aus kommend eigentlich Ostautobahn zu nennenden, auf der wir den Mondsee, Maria Taferl, Pöchlarn oder sogar Ybbs passierten, jedes Mal also, wenn wir der Hölle Wiens entflohen oder uns auf das paradiesische Wien freuten, wollten wir immer schon eine der Ausfahrten nehmen, die in das weltberühmte Salzkammergut führen, und am verlockendsten war naturgemäß die Ausfahrt Ohlsdorf, wo der Dichter seinen weltberühmten Vierkanthof nicht nur besessen, sondern als Bauer auf Nathal bewohnt hatte und der heutzutage einer interessierten Öffentlichkeit als museales Relikt einer Dichterexistenz zugänglich ist, der derlei Exhibitionismus allerdings mehr als fremd gewesen wäre.

 

Wir kommen jedes Mal entweder zu spät im Leben, oder wir sind zu früh da. Wenn wir zu spät sind im Leben, dann werden wir bekanntlich bestraft, wenn wir aber zu früh sind im Leben, weil der Vierkanthof des Dichters noch nicht geöffnet ist, dann gehen wir ins Wirtshaus und in Ohlsdorf naturgemäß zum Kirchenwirt, wo der erfahrene Wirtshausgeher schon nach wenigen Momenten erkennt, dass seine Erwartungen an ein gutes und richtiges Wirtshaus nicht enttäuscht werden können. Der erfahrene Wirtshausgeher wird in einem derartigen Wirtshaus zur Mittagszeit immer eine warme Frittatensuppe wählen, was beim Kirchenwirt allerdings ein folgenschwerer Fehler wäre, nicht weil die Frittatensuppe dort nichts taugen würde, im Gegenteil, sondern weil sie von einer heißen Kartoffelsuppe noch übertroffen wird, die hier beim Kirchenwirt in Ohlsdorf besonders gut schmeckt, weil man sie in einer Art Herrgottswinkel zu sich nimmt, wo dem Dichter, der ja sozusagen gleich um die Ecke herum seinen Vierkanthof nicht nur besessen, sondern auch bewohnt hat, mit einem gerahmten Bild gehuldigt wird, auf dem er, dem Sterben schon sehr nahe, bei der Premiere seines letzten Stücks "Heldenplatz" zu sehen ist, und mit einer Intarsienarbeit im Tisch davor, auf dessen Platte das Wort "NATURGEMAESS" hineingearbeitet wurde. Der Kirchenwirt selber bringt die heiße Kartoffelsuppe und auf die Frage ob er, der Dichter, wohl auch hier des Öfteren eine heiße Kartoffelsuppe oder eventuell eine Frittatensuppe, gegessen habe, erntet man ein mürrisches, aber dennoch als Zustimmung zu deutendes Gemurmel.

 

Wittgensteins Neffe

Der Kirchenwirt aber, nachdem wir unsere heißen Kartoffelsuppen aufgegessen hatten und beim Sohn des Kirchenwirtes ein zweites sogenanntes Seidel und ein zweites Achtel vom Grünen Veltliner bestellt hatten, der Kirchenwirt, den wir uns als jenseits der siebzig vorzustellen haben, als einen Mann, wie er in den bergigen Gegenden häufig anzutreffen ist, mit einem breiten Lachen, das sich auf viele Falten rund um die Augen ausdehnt, mit einer gesunden Bräune im Gesicht und kräftigen Händen, der Kirchenwirt wollte sich diese beiden Gäste im Herrgottswinkel des Dichters doch noch einmal genauer ansehen und fragte ohne Umwege sogleich nach dem Lieblingswerk des Dichters. Nachdem "Wittgensteins Neffe" genannt wurde, ging ein Leuchten über sein, des Kirchenwirts Antlitz, und er fing sofort an zu erzählen, wie er, der Paul, der Neffe des Philosophen Ludwig Wittgenstein, hier einmal angekommen sei, mit dem Taxi aus Wien, dem Taxi aus Wien, das wiederholte er, der Kirchenwirt, mit einem gesprochenen Ausrufezeichen. Wie er also ausgestiegen sei, der Paul, aus dem Taxi mit einer Kappe auf dem Kopf wie Rudolf Caracciola, der Rennfahrer, und überhaupt vom Kopf bis Fuß alles tipptopp. Und wie er dann nach dem Thomas gerufen habe, er müsse sofort den Thomas sehen, er brauche den Thomas, so der Kirchenwirt, weil der Thomas seine Taxirechnung begleichen solle. Und wie also wie durch ein Wunder der Thomas, also der Dichter, sehr schnell aufgetaucht sei und die Taxirechnung des Paul, also des Fabrikantensohnes, beglichen habe. Uns, die wir "Wittgensteins Neffe" nicht nur als Lieblingstitel genannt hatten, sondern dieses Werk des Dichters nahezu auswendig kannten, fiel sofort ein, dass im Buch der Paul in der Tat einmal in Ohlsdorf und in Nathal auftaucht und sich dort, im Buch, eine verzweifelte Reise auf der Suche nach einer Neuer Züricher Zeitung anschließt, und auf einmal waren der fiktive Paul aus dem Buch und der reale Paul aus der Erzählung des Kirchenwirts, der aber genauso verrückt und eigentlich fiktiv war wie der Paul aus dem Buch, während der fiktionale Paul aus dem Buch genauso real erschien wie der Paul aus dem Munde des Kirchenwirts, auf einmal jedenfalls waren Dichtung und Wahrheit und Erzählung und Erinnerung eins. Der Kirchenwirt lachte, naturgemäß.Der Sohn des Kirchenwirts, der derweilen Kartoffelsuppen und Frittatensuppen und naturgemäß ungezählte Wiener Schnitzel sowie diverse Seidel und Grüne Veltliner unter seine Gäste bringen musste, von denen einige unschwer als ebenfalls zu früh gekommene Enthusiasten des Vierkanthofes des Dichters zu identifizieren waren, die dem inzwischen strömenden Regen des weltberühmten Salzkammergutes einen zünftigen Wirtshausaufenthalt ganz offensichtlich ebenfalls vorgezogen hatten, aber dennoch aus der Tatsache, dass sie zu früh waren in ihrem Leben, nicht den entscheidenden Vorteil zu ziehen in der Lage waren wie wir, der Sohn jedenfalls ersuchte den Vater, unseren Kirchenwirt, mehrfach energisch, seinen Pflichten als Überbringer von Kartoffel- und Frittatensuppen und anderen Spezialitäten der salzkammergutschen Küche Genüge zu tun, der Kirchenwirt aber hatte sich erst warm geredet mit dem Paul Wittgenstein, dem Neffen des Philosophen. Denn der Dichter, der Thomas, sei ja oft da gewesen bei ihm. Meistens mit den Weibern, der Tante, dem Lebensmenschen und einer ganzen Reihe anderer. Charmant sei er gewesen, der Thomas, so der Kirchenwirt, seine Frau, die des Kirchenwirts, die immer eher skeptisch gewesen sei gegenüber dem Fremdling aus Wien, habe ihn, den Dichter, mal in Gmunden getroffen, er habe den Hut gelüftet und freundlich gegrüßt. Woraufhin seine Frau, so der Kirchenwirt, erstens ganz eingenommen gewesen sei von dem Dichter aus Nathal und zweitens mitgekommen sei nach Wien in eine Aufführung von "Ritter, Dene, Voss" und sich nicht mehr eingekriegt habe vor Lachen.

 

Einfach kompliziert

Der Minetti sei da gewesen. Und der Peymann naturgemäß. Der habe später einmal, schon nach dem Tod des Dichters, erzählt, er würde ein Buch schreiben über seine Erlebnisse in Ohlsdorf. Da würde dann ja sicherlich auch die Episode auftauchen oder vielleicht auch nicht, so der Kirchenwirt, als in den Siebzigern der Dichter den Peymann früh morgens aus dem Bett einer Kellnerin vom Nachbarwirt herauszerrte. Eine sehr umworbene Person, die Kellnerin, so der Kirchenwirt, da gab es sogar irgendwann einmal zwei Todesfälle, aber die hätten natürlich nichts mit dem Peymann zu tun und noch weniger mit dem Thomas. Der vielmehr saß einmal mit dem Hermann Beil oder dem Karl Ernst Herrmann, so genau wisse er das nicht mehr, im Wirtshaus, ganz allein, wahrscheinlich aßen sie eine Kartoffelsuppe oder eine Frittatensuppe, so genau wisse er das nicht mehr, jedenfalls kam dann der Ohlsdorfer Ortsheilige herein, ein würdiger älterer Herr, von dem er uns sogleich ein Foto zeigte, der aber die Angewohnheit hatte, alle Menschen, die ihm über den Weg liefen, den Thomas inklusive, sogleich zu segnen und mit wild ausgedachten religiösen Sprüchen und Gebeten zu bedecken. Der Peymann und der Beil also oder der Herrmann saßen da, und obwohl das Wirtshaus ansonsten menschenleer war, setzte sich der Ortsheilige sogleich zu den beiden und segnete sie und ließ seine frommen Sprüche ab, und er, der Kirchenwirt, wollte natürlich seine beiden prominenten Gäste vor dem Verrückten oder sogar Verzückten beschützen, aber der Peymann habe sich dagegen verwahrt, denn das, was der Heilige da sage, so Peymann, sei reinste Literatur.

Der Unseld sei natürlich auch sehr oft hier gewesen. Der Thomas habe zwar den Vierkanthof immer mehr ausgebaut, mit einem kompletten Gästezimmer sogar, aber in Wirklichkeit hätten die Gäste immer bei ihm im Wirtshaus gewartet und bei ihm oder dem Nachbarwirt geschlafen. Gesegnet vom Heiligen sei der Unseld natürlich auch worden, danach von einer zweiten verrückten Ohlsdorferin in wallenden Tüchern begrüßt worden, dergestalt, dass er, der Unseld, doch ein so schöner Mann sei und ob er schon verheiratet wäre, und der Gipfel sei dann der Ohlsdorfer Dorfdepp gewesen, der einen Armstumpf mit dem klassischen Fleischerhaken daran gehabt hätte und dem Unseld damit vor der Nase herumgefuchtelt habe, worauf der Unseld, so der Kirchenwirt, nach Begegnungen mit einem Heiligen, einer wallenden Dame und einem Gnom fluchtartig Ohlsdorf verlassen habe. Das, so der Kirchenwirt, stünde nicht in dem kürzlich erschienenen Briefwechsel des Dichters mit seinem Verleger.

 

Der Schein trügt

Der Sohn des Kirchenwirtes hatte mittlerweile meiner Frau das dritte Achtel und mir das vierte Seidel gebracht, aber der Kirchenwirt selber wollte gar nicht mehr aufhören, während wir Gefahr liefen, für den Besuch des Vierkanthofes zu spät zu kommen. Dem Kirchenwirt war das egal. Der Österreicher, das sagt der Dichter und nicht nur er, lebt in seinen Anekdoten, und seine Anekdoten sind für ihn das wirkliche Leben. Das wirkliche Leben ist ein anekedotisches, und wenn das Leben nicht anekdotisch zu fassen ist, dann ist es nicht wirklich. Der Österreicher ist ein Plaudergenie und ein Wirklichkeitsverweigerer. Der Österreicher begeistert sich an seinen geplauderten Pointen und verzweifelt an den wirklichen Pointen des Lebens. Der Österreicher mag es warm und weich, während das Leben hart und kalt ist. Die Gerda Maleta, sagte der Kirchenwirt, war eine Grace-Kelly-Erscheinung. Die Frau des Nationalratspräsidenten. Mondän, Nylonstrümpfe, hochhackige Schuhe, kurzer Rock, so der Kirchenwirt, wobei das unserer Erinnerung nach gar nicht stimmen konnte, vielleicht meinte der Kirchenwirt auch die Frau Hufnagl oder die Frau Schmied. Der Thomas habe sie jedenfalls, oder wen auch immer, gleich durch die Wälder gejagt, er in seinen Jägerklamotten und mit Reiterstiefeln. Die Gerda, so der Kirchenwirt, oder wer auch immer sei völlig fertig gewesen nach der ersten Wanderung, aber auf die Frage vom Thomas, ob sie am nächsten Tag noch einmal Lust hätte, habe sie sofort geantwortet: jawoll. Obwohl die Nylonstrümpfe im Eimer gewesen waren und die Absätze abgebrochen. So sei der Thomas gewesen, die Weiber, so der Kirchenwirt, hätten ihm aus der Hand gefressen.

Er war ja kein Bauer nicht, sagte der Kirchenwirt. Er habe sich fotografieren lassen auf seinem Traktor mit dem Schild, auf dem Bauer zu Nathal steht. Aber bewirtschaftet habe er nichts, der Bauer zu Nathal mit seinem Vierkanthof. Er sei ein Nachbar gewesen, ein guter, natürlich seien sie per Du gewesen, wie alle Nachbarn hier, so der Kirchenwirt. Allerdings einmal, da habe er, der Kirchenwirt, ein Erlebnis gehabt, das habe ihm zu denken gegeben. Das war in der Zeit gewesen, als die Modernität auch durch Ohlsdorf gerast sei, als eine neue Straße gebaut wurde, der die Schule zum Opfer gefallen sei, viele Bäume, das ganze Dorfgefüge. Da hätten sie Unterschriften gesammelt im Dorf gegen den Wahn der Städter, und der Thomas sei mit seinem Mercedes ins Dorf gerauscht, sei ausgestiegen und habe gefragt, was da los sei. Und er, der Kirchenwirt, habe es ihm erklärt. Und der Dichter hätte geantwortet, dass er gegen nichts mehr protestiere und nichts mehr unterschreibe. Aber es hätte ein Gewicht, habe der Kirchenwirt geantwortet und nur noch gesehen wie der Dichter die Hand an den Griff seines Mercedes gelegt habe. In der Nacht habe ihm seine Frau die neuesten Unterschriftenlisten gezeigt: Der Dichter hatte unterschrieben. Und jetzt, so der Kirchenwirt, sollten wir uns an die Szene im „Heldenplatz“ erinnern, wo der Professor sagt, er unterschreibe nichts mehr. Alles hier entstanden, vor der Haustüre sozusagen, so der Kirchenwirt, genauso wie die Szene aus dem „Untergeher“, so glaube er sich zu erinnern, wo der Erzähler neue Fenster in seinem Wirtshaus bewundert, die den Schmutz und den Staub besser verbergen, all diesen Gestank und Geruch und das Grauen verheimlichen. Das war, so der Kirchenwirt, in den Siebzigern, als hier, bei ihm, dem Kirchenwirt, neue Fenster hereinkamen und der Thomas wie gebannt davor gestanden habe und gleich wieder Literatur daraus machte.

 

Heldenplatz

Immer sind wir zu spät im Leben, und für den Vierkanthof war es längst schon zu spät. Immer sind uns die Menschen lieber als die Vierkanthöfe, und immer ist uns der Kirchenwirt lieber als ein Museum. Mit einem Kirchenwirt kann man reden, mit einem Vierkanthof nicht. Ein Kirchenwirt nimmt, ganz anders als ein Vierkanthof, zur Kenntnis, dass man selber einmal dem Dichter begegnete: damals, als „Holzfällen“ in Österreich verboten wurde, als der Dichter die Titelseiten und Schlagzeilen von „Krone“ und „Kurier“ tage-, ja wochenlang beherrschte. Als der Dichter, der Bauer zu Nathal, nicht zum ersten Mal zur Zielscheibe des wütenden Ressentiments und des geifernden Provinzialismus wurde, wie nicht wenige Jahre später bei der Uraufführung seines letzten Stückes „Heldenplatz“, wo der Kirchenwirt die Premiere im vierten Rang des Burgtheaters erlebte, weinte, wie er sagte, als der todkranke Dichter ins Publikum winkte und ihn, den Kirchenwirt, an seinen kurz zuvor verstorbenen Vater erinnerte. Im Kaffeehaus Tirolerhof war es, dass wir zu Zeiten des „Holzfällen“-Skandals mit unserer Mutter, achtzigjährig, auf den Dichter trafen. An der Eingangstür tauschten wir die Klinken. Die Mutter, enthusiasmiert von „Krone“, „Kurier“ und Sohn, begehrte ein Autogramm vom Dichter. Nur mit sanfter Gewalt war sie davon abzuhalten, die Mutter. Was dem Kirchenwirt sogleich Anlass war, zum schweizerischen Professor überzuleiten, der ein Literaturprofessor gewesen sein musste oder zumindest einer, der sich als Literaturprofessor ausgab und naturgemäß eine Verständnisfrage an den Dichter gehabt habe, was er dem Kirchenwirt auch ankündigte, als er stundenlang im Wirtshaus des Kirchenwirtes wartete, damit der Dichter endlich erscheine und er, der schweizerische Literaturprofessor, der womöglich gar keiner war, endlich seine Frage loswerden könne. Der Thomas, der Dichter, sei dann endlich erschienen, und er, der Kirchenwirt, habe das Unheil schon kommen sehen, als der Literaturprofessor aufgestanden sei, noch bevor der Thomas seine Frittatensuppe oder vielleicht seine Kartoffelsuppe fertig gegessen habe, und dem Thomas seine so genannte Verständnisfrage gestellt habe. Der Thomas sei buchstäblich rot angelaufen vor Zorn, habe sich leicht erhoben, die Tante, der Lebensmensch sei mit anwesend gewesen, vielleicht sogar einige der anderen Weiber, so der Kirchenwirt, und er, der Thomas, habe mit rotem Kopf den Literaturprofessor zurechtgewiesen mit den Worten, dass er, Thomas, nichts mehr verachte als Menschen, die einen Traum nicht vom Ast eines Birnbaums unterscheiden können.

Der Kirchenwirt hat ja, diesen Eindruck gewannen wir, offensichtlich alles gelesen vom Dichter und vieles gesehen im weltberühmten Burgtheater von den Theaterstücken des Dichters. Er war, wie er uns gestand, auch einer der wenigen in Ohlsdorf, der zu dem Dichter stand, als dieser wegen seines letzten Stückes „Heldenplatz“ von der „Kronenzeitung“ zum Volksfeind Nummer Eins gestempelt wurde. Die Ohlsdorfer hätten das genau so gesehen wie die Kronenzeitung und dem Thomas am liebsten den Vierkanthof, der von uns immer noch nicht aufgesucht worden war, in Schutt und Asche gelegt. Der Kirchenwirt hingegen, der dem Dichter über lange Jahre hinweg so manche Frittatensuppe und so einige Kartoffelsuppen und sogar das eine oder andere Wiener Schnitzel serviert hatte, der Kirchenwirt hatte sich eines Tages getraut, mit einem Buch des Dichters, es könnte der „Untergeher“ gewesen sein oder sogar „Wittgensteins Neffe“, so genau erinnere er sich nicht mehr, an seinen Tisch zu treten und um eine Widmung zu bitten. Er, der Thomas und Dichter, habe reagiert wie immer, zornesrot, er eigne sich nicht fürs Ausstellen und fürs Aufheben. Woraufhin der Kirchenwirt sich zurückgezogen habe. Allerdings sei die Tante, der Lebensmensch, mit anwesend gewesen an selbigem Tag. Und sie sei an seinen Tresen gekommen und habe geflüstert, der Thomas wolle, dass der Kirchenwirt noch einmal an seinen Tisch komme. Dort habe der Dichter, der Schriftsteller, ihn, den Wirt, den Schankwirt, gefragt, wie denn die Widmung lauten solle. Und er, der Kirchenwirt, habe kurz überlegt, wenn er jetzt dem Dichter diktiere, dass er, der Kirchenwirt der dümmste Wirt von ganz Österreich sei, dass dies dann in seinem Widmungsexemplar sofort so verewigt werden würde. Das habe er sich aber kurz dreimal überlegt. Und lieber geantwortet, dass der Name ja wohl genüge. Und seither habe er ein Buch, auf dem auf dem Vorsatzblatt einfach nur handschriftlich steht: Thomas Bernhard.

 

Quelle: F.A.Z.